Leseprobe:Connie Roters
Das tote Kind im Wind
Wasserfallartig prasselte der Regen auf das Dach des kleinen Ferienhauses. Der Wind peitschte die Wellen an den flachen Strand, aus der Ferne ein Donnergrollen. Kriminalkommissar David Menger zog
die Decke enger um seinen Körper und drehte den Kopf zum Fenster. Seit drei Wochen war er jetzt in dieser Unterkunft im Niemandsland an der Nordsee, verbrachte seine Zeit mit langen
Strandspaziergängen und Nachdenken. Er war geflüchtet. Geflüchtet vor der Befragung durch die Innere Abteilung, die sein letzter Alleingang zwangsläufig nach sich zog und vor den Drogen, von
denen er im Dienst die Finger nicht lassen konnte.
Er drehte sich vom Fenster weg, starrte in den kleinen schummerigen Raum. Er wusste, er würde nicht ewig hierbleiben können. Aber vielleicht noch heute und vielleicht auch morgen oder vielleicht
doch für immer? Er könnte einfach seine Sachen packen und das nächste Schiff besteigen. Niemand würde nach ihm fahnden. Sein Vorgesetzter würde die Sache geschickt unter den Teppich kehren, Nina
würde sich einen anderen Arbeitspartner suchen und seine Frau würde wahrscheinlich mit ihrer unbeschreiblichen Toleranz akzeptieren, dass er gegangen war. Aber er würde nicht gehen. Niemals. Er
hatte eine Tochter, die er über alles liebte.
David Menger drehte sich wieder dem Fenster zu, sah hinaus in die Dunkelheit und wusste, dass er auch in dieser Nacht keinen Schlaf finden würde. Er setzte sich auf, strich sich über die
stoppeligen blonden Haare und wunderte sich, wie schnell sie in drei Wochen gewachsen waren. Er hatte sich eine Glatze rasiert, als er hierhergekommen war und sich einen Bart wachsen lassen. Aber
es hatte nichts genutzt. Es hatte keinen anderen Menschen aus ihm gemacht.
Das tote Kind im Wind
Parlez Verlag
ISBN 9 783863 270544
Hardcover gebunden, 22,90€